Der Kanton Tessin und die Lombardei: Differenzen sprachlicher und kultureller Art

Obschon der Kanton Tessin vom sprachlichen und kulturellen Gesichtspunkt ähnlich scheint, weisen dieser und die Lombardei Unterschiede in der schriftlichen und mündlichen Sprache auf.

Der Kanton Tessin ist ein Landzipfel, der als integrierender Bestandteil der Lombardei betrachtet werden kann.

Obschon man im Tessin dieselbe Sprache wie auf der italienischen Halbinsel spricht, sind in Wirklichkeit der italienischsprachige Schweizer Kanton und die Lombardei zwei unterschiedliche „Regionen“ sowohl in kultureller als auch in sprachlicher Hinsicht.

In früheren Zeiten gehörte das Tessin zum italienischen Staatsgebiet (Herzogtum Mailand): erst im 16. Jahrhundert ging es an die Eidgenossen über, die es nach jenen Gebräuchen verwalteten, die überall in der Schweiz galten.

Dies ergibt sich klar aus der heutigen Sprache. Es lässt sich klar der Einfluss des Schweizer Französischen und Schweizer Deutschen auf viele Tessiner Wörter nachweisen. Wer im Tessin einen Rollladen braucht, verlangt einfach einen „rolladen“ statt des italienischen „persiana“. Ein Aktenordner (italienisch „raccoglitore“) heisst im Tessin „classeur“.

Aber auch in der Amtssprache gibt es Unterschiede: z. B. heisst das Zivilgericht im Tessin „pretura“, in Italien „tribunale civile“. Das Wort „assessore“ hat bei unveränderter Rechtschreibung zwei unterschiedliche Bedeutungen: in der Lombardei (und allgemein in Italien) ist ein assessore ein Mitglied der Regierung (Minister) von Gemeinde, Provinz oder Region, im Tessin dagegen versteht man unter assessore den segretario assessore (den Gerichtsschreiber) oder den assessore giurato (den Laienrichter), beide mit der Aufgabe den Berufsrichter in der Rechtsprechung zu unterstützen.

In Italien unbekannt sind auch das gesamtschweizerische Natel (telefono cellulare – Mobiltelefon) oder „cicca“ für Kaugummi. Der Haartrockner heisst in der Deutschschweiz und im Tessin „Föhn“, in der Lombardei „asciugapelli“. An Stelle der italienischen „fette biscottate“ steht im Tessin oft das deutsche Wort „Zwieback“.

Selbstbedienung heisst im Tessin „servisol“, in der Lombardei wird das englische „self service“ verwendet.

Bekanntlich liegt der Kanton Tessin geografisch in der Nähe der Lombardei, aber viele Wörter sind völlig anders als jene, die normalerweise im Tessin verwendet werden. Dann spielt die Nachbarschaft zu den anderen Kantonen jenseits des Gotthards eine sehr wichtige Rolle, sodass – obschon die Amtssprache im Tessin das Italienische ist – es im Alltag viele Begriffe gibt, die aus den anderen Landessprachen stammen.

Das bedeutet aber nicht, dass der Kanton Tessin kulturell einzig auf das Gebiet jenseits des Gotthards ausgerichtet ist, sondern es gibt in zahlreichen Bereichen (z. B. Wirtschaft und Kunst) auch gemeinsame Interessen mit der Lombardei.